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Beim GTV trainieren historische Schwertkämpfer

In der Sporthalle der Gorch-Fock-Schule in Geestemünde toben sich tagsüber normalerweise Kinder zwischen 6 und 10 Jahren an Bällen und Sportgeräten aus. Jeden Montagabend aber belagern Landsknechte, Bravehearts und Musketiere die Bewegungsstätte – bildlich gesprochen zumindest. Hier trainiert nämlich die Abteilung Historischer Schwertkampf des GTV. Fabian Lewke (33) und Fabian Köckritz (30) haben sie vor zwei Jahren ins Leben gerufen. „Wir hatten privat damit angefangen“, erzählt Fabian Lewke. „Aber in Eigeninitiative eine Halle zu mieten, geht ganz schön ins Geld, deshalb haben wir uns nach einem Verein umgesehen. Und da bot sich der GTV als erstes an, weil er mal eine Sportfechtabteilung hatte. Und der Verein war schnell überzeugt.“

An dieser Stelle ist etwas Historie vonnöten: Im Hochmittelalter und der Renaissance gab es in Europa verschiedene Fechtstile, auch Schulen genannt. Sie unterschieden sich in ihrer Herkunft, den verwendeten Waffen und dem Zeitalter, in dem sie populär waren. So gibt es die deutsche, die italienische, die spanische, die englische und die französische Schule. Fechtbücher erschienen zunächst hauptsächlich im deutschen Sprachraum, später ab dem 16. Jahrhundert vor allem in Italien.

International anerkannte Sportart: HEMA

Aus der italienischen und französischen Schule entwickelte sich mit der Zeit das heutige Sportfechten. Was die beiden Fabiane machen, folgt der deutschen Schule und heißt heute HEMA. Das steht für Historical European Martial Arts (Historische Kampfkünste Europas). Auch die Schwertkämpfer des GTV haben ihre Techniken aus Quellen erarbeitet, die zum Teil noch in Alt- oder Mittelhochdeutsch geschrieben waren und über 500 Jahre alte Abbildungen enthielten. Dabei ist die HEMA-Szene durchorganisiert wie andere Sportarten auch. Es gibt einen Nationalkader und Ranglisten für die verschiedenen Waffengattungen.

Der wichtigste Unterschied zwischen HEMA und Sportfechten liegt im Regelwerk. „Beim Sportfechten sind die Regeln sehr starr“, sagt Fabian Lewke. „Wenn zwei Sportfechter sich bei der gleichen Aktion kurz nacheinander treffen, bekommt nur der den Punkt, der zuerst getroffen hat. Da kommt es oft auf Sekundenbruchteile an. Wenn zwei HEMA-Kämpfer sich fast gleichzeitig treffen, ist der Angriff unentschieden, weil im historischen Original-Setting jetzt schon beide Kämpfer bluten würden.“

Waffenkämpfe, ganz ohne Blutvergiessen

Rund sieben bis acht Schwertkämpfer sind regelmäßig dabei, auch Frauen gehören dazu. „In guten Zeiten kommen wir auch auf bis zu einem Dutzend Teilnehmer“, sagt Fabian Köckritz. „Jetzt in der kalten Jahreszeit sind es immer etwas weniger. Der Rekord waren mal 15 Aktive. Aber dann ist die Halle ziemlich voll, weil Schwertkampf doch etwas Platz in Anspruch nimmt.“

Dennis Peper (38) ist der Materialwart. „Unser vereinseigener Schmied“, sagt Fabian Lewke schmunzelnd. Aus reiner Neugier und Faszination fürs Handwerk fing er mit dem Schmieden von Messern an. „Die Messer wurden größer und irgendwann reizten mich dann Schwerter. Und dann wollte ich schließlich mal wissen, was man mit so einem Schwert eigentlich machen kann, hab ‚Schwertkampf Bremerhaven‘ gegoogelt und so bin ich hier gelandet.“

Mit den gängigen Schwert-und-Fellklamotten-Kontexten wie „Herr der Ringe“ oder „Game of Thrones“ hat er nichts am Hut. „Die ganzen Fantasy- und Historienschinken interessieren mich nicht, ich habe nicht mal einen Fernseher“, sagt Dennis. Magnus Bunkenburg (18) hat eher der eigene Spieltrieb hergeführt. „Ich hatte schon als kleiner Junge Spaß, mit Stöcken oder Stangen spielerisch zu fechten“, sagt er. „Das ging irgendwann mal mit Schwertkampf-Spielen am PC weiter. Und vor etwa einem Jahr bin ich zum Verein gestoßen.“

Man passt aufeinander auf

Nach dem Aufwärmen geht es in die Schutzkleidung, um sich „ein bisschen zu hauen“, wie Dennis juxt. Brauchbare Schutzkleidung kostet laut Fabian Lewke etwa so viel wie eine Eishockey-Ausrüstung. Das macht das Schwertkämpfen relativ teuer, aber auch sehr sicher.

„Mehr als Schrammen oder blaue Flecken hatten wir hier noch nicht“, sagt Fabian Lewke. „Fußball ist da deutlich gefährlicher!“ Das liegt nicht nur an der Ausrüstung, sondern vor allem auch an der Einstellung der Kämpfer. „Man passt aufeinander auf“, sagt Fabian Lewke.

Krafttraining beim Schwertkampf inklusive

Die Waffenkammer reicht an diesem Abend vom klassischen mittelalterlichen Langschwert, über das mächtige Claymore, mit dem die Schotten in epischen Schlachten vorzugsweise englische Besatzer vermöbelten, bis hin zum Seitschwert oder Rapier, das man am ehesten mit den Musketieren in Verbindung bringt und eher als Duellwaffe diente. Die beiden Fabiane „bekriegen“ sich mit dem Langschwert. Der Kampf ist gut zu verfolgen, man muss nur genau hinhören. „Klirren heißt Metall auf Metall, also kein Treffer“, sagt Fabian Köckritz.

„Ein dumpfes ‚Tock‘ heißt Metall auf Kunststoffrüstung, also Treffer.“ Die Kämpfe gehen schnell, denn die etwa fünf Kilogramm Schutzkleidung und das rund eineinhalb Kilogramm schwere Schwert erfordern doch einiges an Kraftaufwand und nach gut fünf Minuten ist eine Pause angesagt. Zweieinhalb Stunden nehmen sich die Geestemünder Landsknechte für eine wöchentliche Trainingseinheit.

Dabei sein ist alles

Was sie beim Training so lernen, zeigen sie unter anderem beim Geestemünder Blütenfest und beim Herbstfest oder bei der Sportwoche. Außerdem führt ihr Weg sie hin und wieder zu Veranstaltungen anderer Vereine, wie etwa Hammaborg in Hamburg, einem der führenden HEMA-Vereine. „Da ist auch mal Dabeisein alles“, sagt Fabien Lewke. „Ich hatte dort letztes Mal zehn Runden gegen eine Sportkameradin, die hat neun Runden lang den Boden mit mir aufgewischt. Aber der eine Treffer von mir und ihr Lob dafür waren es schon wert.“