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MOIN-Bremerhaven Brennpunkt: Was kommt nach dem Karstadt-Abriss?

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Wer in diesen Tagen am Schiffbaubrunnen, auf den Stufen vor der Großen Kirche oder im Café daneben sitzt, hat dabei unweigerlich den derzeit größten und bekanntesten Schandfleck der Stadt im Auge: Das alte Karstadt-Gebäude. Auch Legionen von Touristen konnte man diesen Anblick im Jahr der SAiL 2025 nicht ersparen. Während die aber nach dem Windjammerfestival inzwischen wieder zu Hause sind, müssen die Bremerhavener sich weiter mit der Ruine und dem Tauziehen darum herumschlagen.

Ende 2020 wurde Karstadt geschlossen und stand anschließend noch fast fünf Jahre als Mahnmal herum. Seit vergangenen Mai nun knabbert eine große Betonzange Stück für Stück des Gebäudes ab. Bis Anfang 2026 soll es verschwunden sein. Ob das klappt, bleibt abzuwarten. Denn immer wieder stoßen die Abrisstrupps auf Asbest. Den hochgradig krebserregenden Stoff fachgerecht zu entsorgen, kostet Zeit und Geld.

„Novo“ soll der „dritte Ort“ werden

An die Stelle des ehemaligen Kaufhauses soll nach Ansicht der Stadt etwas völlig Neues kommen: ein „Dritter Ort“, den die Bremerhavener zu ihrem Bezugspunkt nach Wohnung und Arbeitsplatz machen und wo sie gern ihre Freizeit verbringen sollen. Das Neue wird sich auch im Namen widerspiegeln: NOVO. Es soll ein „Wohnzimmer für alle“ werden – offen, begrünt, mit Glasfassaden, Co‑Working, Gastronomie, Veranstaltungsflächen, Kinder‐ und Bildungsangeboten nach dem Vorbild des „Forum“ in Groningen (NL) oder des „Dokk 1“ in Aarhus (DK).

Gebaut werden soll es von der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft STÄ- WOG, als Ankermieter die Stadtbibliothek vom Hanse-Carré ins NOVO ziehen. Als weiterer Mieter ist das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) mit einer inklusiv betriebenen Jugendherberge mit rund 250 Betten angedacht. Komplettiert werden soll die neue Stadtmitte durch eine Sichtachse von der Großen Kirche bis in die Havenwelten und Einzelhandel im jetzigen Parkhausbereich des nördlichen Columbus-Center.

Start der Abbrucharbeiten am ehemaligen Karstadt-Gebäude in der Bremerhavener Innenstadt Ende Mai 2025 mit einem Spezialbagger.

Klingt doch grundsätzlich alles gar nicht so schlecht. Es passiert endlich etwas, Visionen sind da und die Stadt hat das Heft selbst in der Hand und ist nicht den Launen privater Investoren ausgeliefert (wie es etwa Karstadt in seinen letzten Jahren war).

Schon beschlossene Sache?

Doch die Begeisterung schwappt offenbar nicht so auf die Bremerhavener über wie die Stadt sich das vorstellt. Zwar hat der Magistrat in den vergangenen zwei Jahren einige öffentliche Veranstaltungen zur Zukunft des Karstadt-Areals abgehalten und teilweise live in Internet übertragen. Die Stadtteilkonferenz Mitte hat Workshops veranstaltet, deren Ergebnisse mit Oberbürgermeister Melf Grantz und den Fachämtern diskutiert wurden. Es gab Bürgerdialoge sowie einen Jugenddialog, in dem speziell die jungen Bremerhavener ihre Ideen und Vorstellungen einbringen konnten. Trotzdem haben viele Bremerhavener das Gefühl, ihnen würde jetzt nur etwas vorgesetzt, was eigentlich schon beschlossene Sache ist.

„Es ist gut und richtig, die Innenstadt neu auszurichten und einen Dritten Ort mit nichtkommerziellen Angeboten zu schaffen, der die Attraktivität der Innenstadt steigert. Davon profitieren letztlich auch kommerzielle Anbieter“, sagt Volker Heigenmooser. Er war früher selbst Pressesprecher der Stadt und ist heute Sprecher einer Bürgerinitiative, die sich in mehreren Bereichen der Stadtplanung engagiert.

Blick ist versperrt

Heigenmooser sieht in den bisherigen Planungen allerdings auch deutliche Fehler. Der auffälligste ist die von der Stadt geforderte Sichtachse zwischen Großer Kirche und Havenwelten. Denn die ist in der Realität gar nicht möglich. Der Blick (der sich schon zwischen C&A und Columbus-Center hindurchschlängeln muss) geht nur bis zu den Bäumen an der Columbusstraße, im Winter vielleicht noch bis zur Klappbrücke weit vor den Havenwelten. In Gegenrichtung schließen die entlang der Achse geplanten Baumreihen den Blickwinkel

„Die Sichtachse ist eine Mogelpackung“, sagt Peter Höltgen, Architekt aus Hamburg und früher Stadtplaner in Bremerhaven, in seiner Studie zu den Plänen. Ein weiteres Problem ist für ihn der Zuschnitt der Gebäude entlang der Sichtachse. Daraus ergeben sich fünfeckige Gebäude mit verhältnismäßig kleiner Fläche und schlecht nutzbaren Grundschnitten. Für Parkdecks etwa ist die enthaltene Diagonale ungünstig.

Blick ins Innere des ehemailgen Karstadt-Gebäude mit zum großen Teil abgeschlossenen Arbeiten der Asbestsanierung und Vorbereitungsarbeiten für den Abbruch. Im Bild: Erdgeschoss mit Säulenkonstruktion.

Ältere Bremerhavener können sich noch an die beeindruckende ursprüngliche Glasfassade des 1958 gebauten Karstadt erinnern. Sie verschwand 20 Jahre später unter einer schwarzen Metalleindeckung, die dem Gebäude den Charme eines Todessterns verlieh. Volker Heigenmooser spricht sich, wie auch Peter Höltgen und der Bremerhavener Architekt Hans-Joachim Ewert dafür aus, den alten Kern des Ursprungs-Karstadt zu erhalten, der für die geplanten Zwecke ihrer Ansicht nach gut geeignet sei. Der Erhalt der Bausubstanz spare vor allem eine Menge Energie, die sonst für Abriss und Neubau aufgewendet werden müsste, und wäre deshalb auch klimaverträglicher.

Kosten: rund 75 Millionen Euro

Laut Machbarkeitsstudie der STÄWOG geht das nicht, unter anderem weil die Geschossdecken die Regale der Stadtbibliothek nicht tragen könnten. Die Architekten lassen das nicht gelten. Man könne die Bücherregale nach den statischen Vorgaben aufstellen, so Höltgen. Schließlich befindet sich die Bibliothek jetzt auch schon in einem ehemaligen Kaufhaus, dem früheren Horten.

Und schließlich ist da ja auch noch das liebe Geld. Acht Millionen Euro hat bis jetzt schon die Planung gekostet. Die STÄWOG sieht die Gesamtkosten laut ihrer Machbarkeitsstudie bei rund 75 Millionen Euro. Die sollen durch die Mieteinnahmen über die nächsten 30 Jahre wieder reinkommen. Für die Stadtbibliothek würde das eine saftige Mieterhöhung bedeuten. Laut Volker Heigenmooser zahlt sie derzeit im Hanse-Carré rund 615.000 Euro pro Jahr, im NOVO würden es satte 2,1 Millionen werden. „Es muss diskutiert werden, ob der städtische Haushalt das leisten kann und soll“, so der ehemalige Stadtsprecher. Volker Heigenmooser befürchtet, dass die jetzigen Pläne sich durch Widersprüche und Klagen verzögern oder an der Finanzierung scheitern könnten und das Karstadt-Areal nach dem Abriss womöglich jahrelang als „offene Wunde im Stadtbild“ brach liegt. „Möge ich bloß nicht Recht behalten“, hofft er gleichzeitig.

Fotos Arndt Hartmann/Magistrat Bremerhaven

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