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Raphaela Nehmer betreibt als Unternehmerin zwei Manga-Shops und ein Tattoo-Studio. Business-Talk MB 3-24 ©kelling
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Auf die Frage „Was hast du eigentlich gelernt?“ antwortet Raphaela Nehmer mit einem Lachen: „Offiziell nach deutschem Recht: Gar nichts!“ Früher war sie ein wütender Teenager ohne Plan, ein Straßenpunk. Unzufrieden mit sich selbst und dem Gesellschaftsbild der Frau. Und dann wurde sie mit siebzehn Jahren ungeplant schwanger. Heute führt sie zwei Manga-Buchläden, einen Online-Shop und ein Tattoo-Studio. Außerdem ist sie Mutter von vier Kindern und glücklich verheiratet. Wir haben die Frau getroffen, die in keine Schublade passt.

Schwieriger Start

Raphaela Nehmer hat alles andere als einen klassischen, geradlinigen Lebenslauf. „Ich war als junges Mädchen total impulsiv, wusste gar nicht, was ich wollte. Voll die Furie, auch noch mit Anfang zwanzig.“ Aber, dass sie das Kind behält, stand für sie sofort fest. „Wer Spaß haben will, muss auch die Konsequenzen tragen.“ Den Vater des Kindes schickt sie schon bald in die Wüste. Zu unzuverlässig.

Raphaela Nehmer holt Schulabschluss nach

In einem Bremerhavener Auffangprojekt für junge Mütter ohne Schulabschluss findet Ruffy – wie Freunde sie nennen – Struktur und ein Dach über dem Kopf. Tagsüber geht sie zur Schule, nachmittags kümmert sie sich um ihren Sohn, ein ganz pflegeleichtes Kind, wie sie sagt. Auch ihre Mutter hilft. „Ich habe zum Glück eine ganz tolle Mutter, die das alles mit mir durchgestanden hat. Sie hat nie geschimpft, sie war höchstens besorgt.“

Fünf abgebrochene Ausbildungen

Die Bereitschaft, zu lernen und eine Ausbildung abzuschließen, war da. Aber das Mädchen aus der Landstadt Hoya eckte immer an. Insgesamt brach Ruffy fünf Ausbildungen ab. „Ich war immer unheimlich schnell gelangweilt und genervt. Deshalb musste es zwangsläufig dazu kommen, dass ich mir selbst was aufbaue.“ Schließlich fand sie eine Stelle in der Buchhaltungsabteilung einer Zeitarbeitsvermittlung, ohne abgeschlossene Ausbildung. Ihr damaliger Chef gab ihr eine Chance: „Beweis mir, dass du das kannst, dann stell ich dich fest ein.“

Selbstständig mit Mitte 20

Raphaela Nehmer legte sich ins Zeug, lernte schnell, arbeitete gewissenhaft – und bekam den Job. Als die Firma 2012 nach Aurich umzog, fasste sie den Entschluss, sich selbstständig zu machen: „Ich konnte Sachen immer superschnell adaptieren und anwenden. Egal ob handwerklich oder in Bezug auf Zahlen. Ich war nur immer unheimlich schnell gelangweilt und genervt. Deshalb musste es zwangsläufig dazu kommen, dass ich mir selbst was aufbaue.“

Raphaela Nehmer betreibt als Unternehmerin zwei Manga-Shops und ein Tattoo-Studio. Business-Talk MB 3-24 ©kelling
Raphaela Nehmer liebt ihren OMA-Shop in der Bürgermeister-Smidt-Straße 102.©kelling

Bloß keine Routine

Langweilig wird es der 35-jährigen Unternehmerin heute bestimmt nicht. In ihrem Tattoo-Studio und den Manga- Shops hat sie ständig mit neuen Leuten zu tun. Die Tattoo-Motive und Wünsche der Kunden sind nie identisch. Ihre Kundschaft im Shop ist bunt gemischt. Teenager, Hipster und Hausfrauen sowie Anwälte, Ärzte, Ingenieure– alle kommen vorbei, um in die Welt der Mangas abzutauchen. Auch die Auszubildenden fordern sie. „Die Routine-Aufgaben bleiben dieselben, aber das drumherum ist immer anders.“

Zwischen Unternehmen und Familie

Doch obwohl sie die Abwechslung als Selbstständige genießt, der Preis ist mitunter hoch, sagt Raphaela. Im Winter hatte sie wochenlang meist erst um 22 Uhr Feierabend. „Da hab ich meine Kinder fast gar nicht gesehen.“ Im Normalfall ist sie um 19 oder 20 Uhr zu Hause. „Eigentlich hatte ich mal vor, einen Luxustag einzuführen: Montagvormittags den Haushalt machen, nachmittags was mit den Kindern unternehmen. Es hat nicht einmal geklappt.“ Der letzte Urlaub war im vergangenen Sommer drei Wochen am Stück mit den
Kindern quer durch Deutschland und zu Besuch bei der Mutter.

Raphaela Nehmer ist Chefin und Mediatorin

Die ehemalige Punkerin sieht ihre Selbstständigkeit sehr reflektiert: „Frei sein ist ja eigentlich eine Illusion. Ich bin immer früher hier, ich geh immer später nach Haus, hab wesentlich weniger Urlaub. Dazu noch der Druck, das alles zu managen. Aber ich kann mir alles so aufbauen, wie ich möchte und auch die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, kann ich mir aussuchen.“ Als Chefin versteht sie sich gleichzeitig als Mediatorin für ihre Angestellten. Wenn sich zwei streiten, setzt sie sich mit ihnen an einen Tisch, bis der Konflikt ausdiskutiert ist. „Mir ist jeder einzelne hier wichtig. Und deshalb nehme ich mir die Zeit und spreche mit meinen Leuten.“

Ihr Wunsch: mehr Support von Frau zu Frau

Raphaela würde sich mehr gegenseitige Unterstützung von Frauen in der Arbeitswelt wünschen. Da sind ganz oft Neid und Stutenbissigkeit im Spiel, weiß sie aus Erfahrung. Ein selbstbewusstes Auftreten wird Frauen außerdem schnell als arrogant und überheblich angekreidet. Sie selbst versucht im Multitasking-Modus alle Verpflichtungen so gut es geht zu erfüllen. Sie hat vier Kinder zu ernähren und neun Gehälter zu zahlen. Ihr Mann ist ihre große Stütze. Er kümmert sich hauptsächlich um den Nachwuchs, schmeißt den Haushalt, hilft im Shop mit. Nun steckt ihr ältester Sohn in der Findungsphase. Er ist achtzehn und weiß nicht, was er nach der Schule beruflich machen will. Seine Mutter empfiehlt ihm etwas Solides: „Lern ein Handwerk. Handwerker werden immer gebraucht.“ Eben eine ganz normale, besorgte Mutter.

www.oma-shop.de

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