Mehr als 4000 Schiffe legen jedes Jahr in Bremerhaven an. An Bord sind immer Seeleute mit Bedürfnissen und Problemen. Die bleiben für uns meistens unsichtbar. Philipp Manthey aber geht zu ihnen und bietet seine Unterstützung an – ob mit warmen Mützen, Hilfe bei Verstößen gegen das Arbeitsrecht oder einfach einem offenen Ohr. Im Deich-Talk erzählt der 29-jährige Seemannsdiakon von seiner Arbeit zwischen Gangway und Krankenbett.
Philipp, du leitest den Bordbesuchsdienst der Seemannsmission. Was genau ist eure Aufgabe?
Wir gehen zu den Schiffen im Hafen und wissen nie, was uns erwartet. Entweder kommen wir im richtigen Moment und die Seeleute haben Zeit und Lust. Dann gehen wir an Bord. Wir begrüßen die Seeleute in Bremerhaven und weisen sie auf unsere Angebote – zum Beispiel den Seamen‘s Club am Containerhafen und unseren Shuttledienst – hin. Und darauf, was man in Bremerhaven alles machen kann. Dann sind wir oft über eine Stunde an Bord, reden mit den Seeleuten und beantworten ihre Fragen. Oder wir kommen im falschen Moment zum Schiff . Zum Beispiel, wenn gerade der Zoll an Bord ist oder Ware verladen werden muss. Dann bekommt man an der Gangway schon gesagt: „No time, no need“ (keine Zeit, kein Bedarf, d. Red).
Was brauchen die Seeleute denn am meisten?
Wir bringen ihnen SIM-Karten zu günstigen Preisen mit und wir helfen ihnen oft dabei, Geld an ihre Familien zu überweisen. Wir wollen den Seeleuten die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Dafür brauchen sie auch Mobilität. Shuttledienst vom Schiff in die Stadt gehört mit der Bordbetreuung zu meinen Aufgaben. Letztendlich geht es darum, Vertrauen an Bord aufzubauen. Die Seeleute sollen wissen: sie können sich an uns wenden.
Wie feiern die Seeleute in Bremerhaven Weihnachten?
Wir gehen am 24. Dezember. mit einem Posaunenchor auf Schi! e und besuchen dort die Seeleute. Alle rufen ihre Familien per Videocall an – so können sie gemeinsam feiern. Das ist immer sehr emotional. Wir bringen außerdem ab Anfang Dezember bei unseren Bordbesuchen immer kleine Geschenke mit, damit an Heiligabend möglichst jeder ein Päckchen aufmachen kann. Das sind zum Beispiel Süßigkeiten und eine warme Mütze. Am 25. haben wir einen ökumenischen Gottesdienst im Seamen’s Club. Danach gibt es einen Gemeinschaftsabend mit Spanferkel, Karaoke, Spielen. Das ist eine sehr schöne Zeit, auch für mich. Gerade an diesen Feiertagen ist Einsamkeit fern der Heimat aber ein größeres Thema. Der seelsorgerische Bedarf ist dann auch höher.
Über welche Themen sprecht ihr dann?
Es geht um ganz alltägliche Dinge wie die Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord, die Familie, Einsamkeit und Gesundheit. Aber auch Mobbing und Rassismus auf dem Schiff sind Themen. Wenn das Gehalt nicht kommt oder es Streit mit der Reederei gibt, können wir helfen. Bei einem Seemann hat ein schwerer Sturm sein Haus auf den Philippinen beschädigt, der wusste gar nicht, wie er das bezahlen soll. Da können wir unterstützen, zum Beispiel auch mit 200 Euro als Anfangshilfe. Manchmal haben wir auch Todesfälle oder Arbeitsunfälle an Bord. Dann bieten wir psychosoziale Notfallbetreuung an.

Philipp Manthey – kurz & knapp
- Meine Stärken: Ich habe große Freude daran, auf Menschen zuzugehen und mit ihnen unterwegs zu sein
- Meine Schwächen: Feierabend machen – auch gedanklich – und die Arbeit Arbeit sein zu lassen
- Mein Lebensmotto: Aus der Ruhe heraus
- Das mag ich besonders an Bremerhaven: Fisch 2000 im Fischereihafen. Seit wir Kinder waren, bin ich immer mit meinem Vater und meinen beiden Brüdern hierhin zum Essen gefahren.
- Was ich unbedingt noch machen oder sehen will: Einen Sportbootführerschein oder Segelschein
Euer Seemannshotel an der Schifferstraße wird zum Jahresende schließen – wegen steigender Kosten und sinkender Übernachtungszahlen. Haben sich die Bedürfnisse der Seeleute verändert?
Sie brauchen die Möglichkeit zum Übernachten nicht mehr so stark. Mittlerweile ist es oft so, dass sie nur für ein paar Stunden in der Lounge sind und dann zum Schiff oder zum Flughafen abgeholt werden. Wir gucken immer: Welche Bedürfnisse haben die Seeleute? Mit dem Hotel fällt auch unser Anlaufpunkt in der Stadt weg. Trotzdem werden wir eine Möglichkeit finden, Seeleute im Kreuzfahrtbereich zu versorgen und auch den Shuttledienst zu gewährleisten. Wir überlegen, ob wir eine kleine Lounge am Kreuzfahrt-Terminal aufmachen. Dann hätten es die Leute nicht mehr so weit zu uns.
2025 geht dem Ende entgegen. Was wird dir aus diesem Jahr am meisten in Erinnerung bleiben?
Ich habe für mehr als ein Jahr einen Seemann begleitet, der durch einen Arbeitsunfall beide Beine und beide Hände verloren hat. Der war hier in einem fremden Land, dessen Sprache er nicht spricht und dessen Essen er nicht einmal mag, und wusste nicht: Was passiert mit mir? Am Anfang hat keiner gedacht, dass er überlebt. Erst war es eine Sterbebegleitung, jetzt konnte er wieder nach Hause fliegen. Diese Begleitung war wirklich intensiv und besonders. Wir haben über die Zeit eine sehr enge Beziehung zueinander aufgebaut. Diesen Seemann werde ich vielleicht in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen.
Belasten dich solche Schicksale? Wie gehst du damit um?
Das ist herausfordernd und macht auch viel mit mir. Ich gehe da in einer besonderen Rolle hin und starte meinen Tag danach zu Hause noch einmal neu. Die Arbeit mit den Seeleuten gibt mir aber sehr, sehr viel. Ich liebe es, mit Menschen unterwegs zu sein, von ihnen etwas zu lernen und mich auf neue Dinge einzulassen. Ich liebe es, Seeleuten aus meinem Beruf heraus dienen zu dürfen. Weil ich fest glaube, dass diese Frauen und Männer an Bord ein großes Opfer für uns bringen. Sie unterstützen diese Welt. Dafür habe ich nichts als Respekt. Und dafür will ich einfach ein „Danke“ zurückgeben und zeigen: „Wir sehen euch“.
Die Deutsche Seemannsmission
Der Verein mit Sitz in Hamburg betreibt Seelsorge- und Sozialeinrichtungen für Seeleute an 33 Stationen in 16 Ländern. Das Motto der rund 600 ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter lautet „Support Seafarers‘ dignitiy“: „Unterstütze die Würde der Seeleute“. Die Deutsche Seemannsmission wird von der Evangelischen Kirche in Deutschland, durch den Bund und durch Spenden finanziert.

